Reinhard

Surviving in Postholes

Reinhard Braun

in: Wood Survives in the Form of Postholes, Edition Camera Austria, 2016

Was geschieht, wenn die fotografische Praxis allen Gegenständen, auf die sie sich bezieht, die größtmögliche Gleichheit zukommen lässt? Wie sind dann die Spuren zu deuten, die diese verschiedensten Gegenstände der fotografischen Oberfläche einschreiben? Lassen sie sich noch in ihrer Differenz und Eigenständigkeit identifizieren oder werden sie durch die Fotografie selbst in eine neue Ordnung gebracht, die zuvor Unterschiedenes vergleichbar macht – als «widersprüchlicher Modus einer Sprache, die zugleich spricht und schweigt, die weiß und nicht weiß, was sie sagt»?1

Stefanie Seufert konfrontiert uns mit einer sehr grundsätzlichen Unsicherheit, wenn wir ihre Bilder identifizieren möchten, um sie einer (unserer) Bedeutung zuzuführen.

…Die Bilder sind durch Konstruktion und Zufall, Transparenz und Hermetik, konkrete Sichtbarkeit und offene Bedeutung mit demjenigen verknüpft, das sie zeigen, und zugleich mit demjenigen, wodurch sie zeigen.

Vor diesem Hintergrund bringen die Methodiken das, was letztendlich als Bild fixiert wird, in eine zwar unsichere und offene, dennoch aber zugleich geradezu radikale – oder obsessive – Unmittelbarkeit zu Gegenständlichkeit und den Dingen selbst, in eine Konkretheit, die ihrerseits wiederum in Widerspruch zu jeder Ästhetik steht. Beinahe aller – erzählerischer, repräsentativer – Momente entledigt, bleibt Fotografie als unerbittliche Aufzeichnungsmaschine dieses Dinglichen zurück und schreibt sich selbst in die Aufzeichnung mit ein.

Wird an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen Bild und Gegenstand irrelevant, wenn das eine ins andere übergeht, das eine mit dem anderen verschmilzt, das eine im anderen verschwindet? Macht es noch Sinn danach zu fragen, was die Gegenstände der Bilder sind, wenn nichts zurückbleibt außer Spuren, die eine neue Gegenständlichkeit, jene des Fotografischen selbst, begründen? «Das Bild ist ein Ding, das dieses Ding nicht ist: Es unterscheidet sich davon wesenhaft.»2Wie aber verhält sich ein Bild zu sich selbst als Ding? Dies ist der Moment einer Unterscheidung und zugleich einer Berührung, durch den Stefanie Seufert in ihrer Praxis die Identität des Bildes, ein Mit-Sich-Selbst-Ident-Sein des Bildes, in Frage stellt. Doch dieses Infragestellen geschieht nicht durch Verfremdung oder durch eine Art Auflösung des Bildes, im Gegenteil: durch seine größtmögliche Konkretion – wobei fraglich bleibt, ob es sich überhaupt um eine Intervention handelt, oder eher um eine Handhabung, ein Tun, das die Bilder hervorbringt. Selbst Aufnahmen von Architekturen, Vögeln, eines Denkmals oder von Zitronen rufen diesen prekären Zusammenhang immer wieder in Erinnerung: dass nichts einfach erscheint oder repräsentiert werden kann und dass selbst, wenn es so zu sein scheint, komplexe Verfahren am Werk sind, um herzustellen, was allerdings lediglich einer Vorstellung vom Sehen oder der Wahrnehmung entspricht.

…Und auch diese skulpturalen Bilder oder bildhaften Skulpturen, die etwas einschließen, das das Fotografische überschreitet und die zugleich auf dem Fotografischen gründen, sind gerade dadurch den gleichen Mechanismen unterworfen wie die Bilder, die nichts anderes tun als zeigen und doch kaum etwas zeigen, eine (visuelle) Sprache, die weiß und nicht weiß, was sie sagt. Eine Gleichheit der Dinge und Bilder im Erscheinen und Verschwinden, an einer Grenze zwischen Erscheinen und Verschwinden angesiedelt, durch welche Bilder und Dinge voneinander getrennt sind (durch die letztlich das Bild von sich selbst getrennt wird), doch entlang dieser Grenze aufeinander bezogen bleiben und sich umkreisen, ersetzen, voneinander ablösen und ineinander übergehen. Doch bei Stefanie Seufert herrscht keine Konfusion, die Gleichheit erzeugt gerade keine Ununterscheidbarkeit oder Verwirrung – wenn zuvor Unterschiedenes (ein Vogel, ein Verfahren, Architektur, Belichtung, Blick) vergleichbar gemacht, durch Fotografie in eine besondere Berührung gebracht wird, dann bleiben Bilder und Dinge zwar nicht unverändert oder unberührt, doch lösen sie sich nicht ineinander auf. Möglicherweise zeigt uns Stefanie Seufert, dass Fotografie zugleich eine Kunst der Unterscheidung wie der Berührung ist, durch die das fotografische Bild immer schon über sich hinausweist, wie es fest in seiner Konkretheit als Bild verankert bleibt.

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Reinhard Braun ist seit 2011 künstlerischer Leiter von Camera Austria und Herausgeber der Zeitschrift Camera Austria International sowie der Edition Camera Austria

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1 Jacques Rancière, Das Šsthetische Unbewu§te, Zürich: diaphanes 2006, S. 26.

2 Jean-Luc Nancy, Am Grund der Bilder, Zürich: diaphanes 2006, S. 10.

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