Floria Ebner

Zufall und Konstrukt

Transparenz und Kontingenz

Florian Ebner

»blind« (2011) heißt eine neue Werkgruppe von Stefanie Seufert, ein scheinbar paradoxer Titel, blickt man auf die sich überlagernden und lichtdurchfluteten Flächen, die den Fotogrammen ihre amorphe Form geben. Nichts lässt angesichts der Transparenz dieser abstrakten Kompositionen an Blindheit denken. Doch stellt die Struktur der verschiedenen Flächen, ihre teils stufenartige Abfolge, ganz unwillkürlich die Frage nach dem Bildentstehungsprozess. Die Streifen erinnern an Belichtungsreihen in der fotografischen Dunkelkammer, an den schwarzen Karton, der nach und nach das Fotopapier bei der Belichtung freilegt. Die Einkerbung am Filmrand und die Löcher der Filmentwicklungsmaschine identifizieren den Bildträger als Dia- oder SW-Planfilm, ein empfindliches Material, das in völliger Dunkelheit manipuliert werden muss. »blind« bezeichnet somit nicht das Motiv, sondern die Methode: Die Kompositionen entstehen als »Bricolage« unter der Belichtung des Vergrößerers, dabei bedeutet das »Gebastelte« der Gestaltung nicht eine Einbuße an visueller Komplexität. Stefanie Seuferts »blind«-Bilder wollen keine nostalgischen Reminiszenzen an eine verschwundene analoge Bildkultur sein. Vielmehr sind sie Ausdruck einer künstlerischen Haltung, die das Fotografische ihrer Bilder als einen stets neu zu definierenden Raum begreift, zwischen Konstruktion und Zufall, Transparenz und Hermetik, konkreter Sichtbarkeit und offener Bedeutung. In dieser Hinsicht ist es mehr als ein glückliches Zusammentreffen, dass sich der theoretische und künstlerische Fotodiskurs dieser Tage für die Begriffe des Kontingenten und Absichtslosen ebenso sehr interessiert wie für die generierten und konstruierten Bilder. Den Bildern aus Versehen, wie Peter Geimer seine Studie zur Medialität der analogen Fotografie bezeichnete,1 die sich erst durch die Fehlerhaftigkeit als solche zu erkennen gibt, stehen heute die (technisch) beherrschbareren Bilder einer digitalen Kultur gegenüber, die der Künstler Adrian Sauer, analog zu Geimers Studie und im doppeldeutigen Sinne, als Bilder aus Berechnung bezeichnet hat.2
So erscheint es heute, als ob die eigentliche Differenz zwischen dem digitalen und dem analogen Bild nicht die Frage nach der Repräsentation von Wirklichkeit und Welthaltigkeit wäre, sondern vielmehr das Verschwinden des zufälligen, verunglückten und makelhaften Fotos aus der digitalen Bildkultur. Das Kontingente und Akzidentelle hingegen scheint etwas »Urfotografisches« zu sein, ein Reiz, der sich jeder Prävisualisierung entzieht.

Auch den Fotogrammen der Serie »blind« liegt weniger eine konkrete Formidee zu Grunde als vielmehr eine experimentelle Versuchsanordnung, die gerade das Absichtslose einer Form einzufangen versucht, gleichsam eine fotografische Lichtfalle in postfotografischer Zeit. In diesem Sinne betreibt Stefanie Seufert ihre eigene Spielart dessen, was Rosalind E. Krauss als eine »Neuerfindung der Fotografie« bezeichnet hat,3 nämlich aus den scheinbar antiquierten Praktiken eines obsolet gewordenen Mediums heraus eine künstlerische Alternative zu entwickeln.

Eine solche Neuerfindung des Mediums begegnet uns auch in Stefanie Seuferts Version des Genres »Sachaufnahme«. In einer Reihe fotografischer Studien verschiedener Objekte widmet sie zwei Ansichten, »ohne Titel« (2009), einem Gebilde aus Drahtgestell, vermutlich einem alten Korb, dessen metallene Stege längst schon aus dem ursprünglichen Geflecht gesprungen sind. Fotografiert vor weißem Grund, nahezu schattenlos, steht dieser Gegenstand auf seinem Boden, ein zweites Mal kopfüber auf dem abschließenden Ring. Eher noch als die angenommene Identität »Korb« arbeiten die beiden Aufnahmen die chaotische Gestalt des Gegenstands heraus. Es scheint, als folge dieses abstrakte Objekt einer mathematischen Funktion oder diene schlicht dazu, Raum zu definieren. Auch vor anderen Objektstudien bleiben die BetrachterInnen im Unklaren über die Natur dieser Dinge, ob dies nun an ihrer Auswahl oder mehr noch an ihrer fotografischen Erscheinung liegt.

Ein in dieser Hinsicht allegorisches Bild ist Seuferts Fotografie »yet« (2011), offensichtlich die Aufnahme eines Bleiguss-Objekts, wie diese an Silvester als Produkt populärer Zukunftsschau fabriziert werden. In großer Präzision erfasst die Fotografin die Form und Oberfläche des glitzernden, amorphen Objekts vor schwarzem Grund. Doch welche tiefere Erkenntnis liegt in der exakten Schilderung der sichtbaren Form, wenn sich doch die Gestalt des Dings ganz offensichtlich der Zufälligkeit seiner Entstehung verdankt? Seine Wahrnehmung folgt scheinbar nichts anderem als den vorgefertigten Bildern, die jede Betrachterin und jeder Betrachter daraufprojizieren mag. Es ist dies die schöne Begegnung zwischen der alchimistischen Tradition der Bleideutung (und der Fotografie) und unserer postmodernen Auffassung, die Artefakte der Kunst nicht mit allzu viel Bedeutung zu überfrachten, vielleicht überdies ein Statement der Künstlerin, ihren eigenen Fotografien mehr Freiraum zu lassen. Behutsam konterkariert Seufert den emphatischen Glauben an die Sachaufnahme, die sich seit den 1920er Jahren förmlich in diese Einstellung eingebrannt hat: Der konzentrierte und objektive Blick der Kamera hätte eine besondere Affinität zum Reich der Dinge, würde uns zu ihrem Wesen führen, zumindest zu einer Qualität, die sich unserem, flüchtigen subjektiven Blick verschließt.4

Bei einer anderen Aufnahme, »ohne Titel« (2006) setzt Stefanie Seufert die Sonne mitten ins Bild, direkt über dem Wipfel einer hohen Tanne, wie einen ultrahellen Weihnachtsstern. Etwas Heroisches (oder doch eher Pseudoheroisches?) haftet dieser Einstellung an: der Blick direkt in die Sonne, aufgenommen aus der modernistischen Froschperspektive und zugleich gebrochen durch die zahlreichen Gegenlichtreflexe, die die Form der Blende ins Bild reflektieren. Als kleiner Abzug neben den größeren Tafelbildern ihrer früheren Werkgruppen bringt dieser bewusste Fehler, dieses kleine Störmanöver, das Medium wieder zurück ins Spiel der Wahrnehmung.

Mit leiser Ironie begegnet die Künstlerin somit den Versprechen der Fotografie auf einen transparenten Blick auf die Welt. Doch hinter dieser Ironie verbirgt sich, wie eingangs beschrieben, auch eine gewisse Solidarität mit dem alten Medium oder mehr noch eine gewisse Neugier, die ökonomisch längst ausgemusterte Materialität der analogen Fotografie in neue Versuchsanordnungen einzubinden. In ihrer Werkgruppe »universal cool sky warm day« (2011) arbeitet sie erneut mit Farbdiamaterial im Planfilmformat und setzt sie dem Licht unterschiedlicher Leuchtstoffröhren aus. Entstanden sind dabei minimalistische, monochrome Bildflächen, die die Farbdominanten des Lichts zum einzigen Gegenstand der Darstellung haben. Seuferts experimentelle Idee ist ein lakonischer Akt der Überprüfung, ob das vermeintlich wirklichkeitsnahe Substrat der analogen Fotografie, der pure Film, auch ganz ohne Kamera und nur anhand standardisierter Kunststoff-röhren, einen Abdruck unserer durchdesignten Welt in sich aufnehmen könnte. Halten universal cool sky warm day was der Hersteller verspricht?

Diese spielerische Offenheit innerhalb eines Arbeitsprozesses gegenüber dem, was am Ende dieses Prozesses steht, gehört zur Qualität von Seuferts Haltung. Sie positioniert sich damit in einem künstlerischen Feld, das als »neue Reduktion« bezeichnet wird5 und sich gegen die Narration der Fotografien und die Transparenz ihres Mediums wendet, im Gegenzug jedoch für den Eigenwert der fotografischen Materialität eintritt. Gewiss, seit den 1960er Jahren wird die reduktionistische Fotografie konzeptuell begleitet und in den unterschiedlichsten Spielarten durchdekliniert, doch Stefanie Seufert geht es weder in ihren Sachaufnahmen noch in ihren experimentellen Arbeiten um irgendeine Dogmatik einer ästhetischen Haltung oder um eine postmoderne, diskursive Aufladung des Bildes, wie es etwa ihr berühmter Kollege Christopher Williams für sich reklamiert. Indem sie sich ganz auf die zufällige (und sich wandelnde) Erscheinung der Dinge und die Offenheit ihrer Interpretierbarkeit setzen, widersetzen sich Stefanie Seuferts Arbeiten dem Konzept einer völligen Beherrschung des Bildes, gar einer »Beherrschung von Information«6 . Vielmehr entdeckt die Künstlerin in der Arbeit an ihren Bildern etwas sehr rar Gewordenes, Reste des Poetischen, auch wenn dieses poetische Potenzial viel mit dem Prozess der Bildfindung zu tun hat.

1 Peter Geimer, Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen, Hamburg: Philo Fine Arts, 2010.

2 Adrian Sauer, »Bilder aus Berechnung«, Ausstellung im Museum für Photographie Braunschweig, zusammen mit Timm Rauterts »Bildanalytischer Photographie«, Februar und März 2011.

3 Rosalind E. Krauss, »Die Neuerfindung der Fotografie«, in: Luminita Sabau, Iris Cramer, and Petra Kirchberg (Hg.), Das Versprechen der Fotografie – Die Sammlung der DG Bank. Kat., München: Prestel, 1998, S. 34–42.

4 Vgl. Oliver Lugon, La Photographie en Allemagne, Anthologie de textes (1919–1939), Nîmes: J. Chambon, 1997.

5 Vgl. Ruth Horak (Hg.), Rethinking Photography I + II. Narration und neue Reduktion in der Fotografie, Salzburg: Edition Fotohof, 2003.

6 Notiz aus einem Gespräch mit Stefanie Seufert.


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